Losinger Architekten GmbH

Nicola Losinger. Begegnungen.
Ein Porträt in drei Szenen.

Von Christine Loriol (Text) und Daniel Sutter (Fotos)
Nicola Losinger (*1963) ist in Bern aufgewachsen, hat an der ETH Zürich Architektur studiert und führt seit 1993 sein eigenes Architekturbüro in Zürich. Der Umgang mit historischer Bausubstanz ist seine Kernkompetenz und Passion – sei es bei Objekten der öffentlichen Hand oder bei Projekten privater Bauherren. Er zieht das sorgfältige, intelligente Umbauen dem Neubau vor: «Es ist anspruchsvoller.» Losinger stammt aus einer grossen Familie, in der Grossvater, Vater, Grossonkel und Cousin im Baugeschäft tätig waren und ist alleinerziehender Vater zweier bald erwachsener Kinder. Dieses Porträt ist in Zürich an drei Schauplätzen entstanden: im Büro in der Altstadt, in der für sich selber umgebauten Wohnung im Irchel-Quartier und im Stadtammann- und Betreibungsamt Kreis 3 in Wiedikon. Es zeigt den Architekten als Übersetzer, Kulturvermittler und Prozessbegleiter.
Büro Nicola Losinger

I

Im Büro. Altstadt.

Entspannt und zurückhaltend ist der erste Eindruck. Aufmerksam und auf eine diskrete Art selbstsicher: Nicola Losinger begrüsst zum ersten Gespräch in seinem Büro an einer der hübschesten Ecken in der Zürcher Altstadt, am Neumarkt. Der Raum strahlt etwas Grosszügiges aus, auch wenn die Decke nicht sehr hoch ist; Eckfenster mit Altstadtausblicken wirken wie kleine Bilder. Es gibt helle getäferte Wände, Parkettboden, Bücher, Pläne, in der Mitte einen grossen Arbeitstisch und am Fenster einen auffällig schönen Sessel. Eine Denkstube – gut für einen freien Kopf, der gerne in Ruhe arbeitet, sich in etwas versenken kann, einer Form auf der Spur, einer Intuition folgend, auf der Suche nach einem Weg, nach einer Lösung.

Nicola Losinger spricht ruhig und überlegt, nimmt einen Standpunkt ein, wenn ein Gespräch genug Zeit und Tiefe haben kann, und ist doch keiner, der einem seine Meinung aufdrängt. Als Architekt liegt ihm die historische Bausubstanz am Herzen, das Denkmal, das Wertvolle, das Eigenständige; und er findet das Umbauen spannender als den Neubau: «Das ist mein Metier, mein Grundstandbein und meine Erfahrung. Das Umbauen – oder auch die Denkmalpflege – ist schwieriger, als von Grund auf neu zu bauen. Es ist anspruchsvoller. Aber es ist genau das, was mich interessiert.» Nicola Losinger wirkt geerdet und gelassen: «Ich bin ja nicht nur Architekt, mein Leben besteht auch noch aus anderem.»

Wir beschliessen, zusammen einen Blick in seine Arbeit zu werfen – mit einem Besuch in seiner Wohnung im Irchel-Quartier und im Stadtammann-und Betreibungsamt Kreis 3 in Wiedikon, das er umgebaut hat.
Zuhause bei Nicola Losinger

II

Zuhause. Irchel-Quartier.

Nicola Losinger lebt in einem Mehrfamilienhaus aus den 1920er Jahren, das er 2003 umbaute. Aus acht früheren Wohnungen auf vier Geschossen wurden vier Wohnungen auf je einem Geschoss. Die Stockwerk-Eigentümer waren gemeinsam auch die Bauherrschaft. Nicola Losinger wohnt im ersten Stock mit seinen Kindern auf 160 Quadratmetern, die man nicht sieht, aber spürt – und das hat mit der Raumaufteilung zu tun. Was sofort auffällt: Das fast unveränderte Treppenhaus gibt keinen Hinweis auf die neuen Welten, die sich öffnen, wenn man zunächst in die Wohnung tritt und dann ins Wohnzimmer. Dieser Raum wird weit, in einem grossen Garten ragt ein riesiger Balkon wie der Bug eines Schiffes, eine Insel der Ruhe und der Schönheit. Der Weg zurück in und durch den inneren Kern der Wohnung ist interessant und fast verschlungen. «Ja,» sagt Nicola Losinger, «zu dieser Arbeit stehe ich immer noch gerne. Sie hat für mich immer noch Gültigkeit.»

Das Bauen, sagt er später, sei im Wesentlichen ein «Du-Thema»: mit viel Beziehungsarbeit verbunden und auf Vertrauen beruhend. Nicola Losinger: «Wenn ich arbeite, möchte ich mit meinem Gegenüber einen guten Umgang finden und pflegen. Bauen ist intensiv und persönlich. Und es ist existentiell.» Ausserdem: «Wünsche zu formulieren ist schwierig. In der Schweiz ist das Bauen teuer, und das macht es zu einem Lebenswerk – jedenfalls für die meisten Bauherren. Und deshalb soll nun das Resultat perfekt werden. Aber wie soll man perfekte Wünsche formulieren?» Deshalb wird der Architekt in der Zusammenarbeit auch zum Übersetzer der Wünsche, oder wenn es sich um historische Substanz handelt, zum Kulturvermittler: «Als Architekt muss ich versuchen zu verstehen, was jemand eigentlich meint und dies in seinem Kontext und in seine Möglichkeiten übersetzen. Man muss die Wünsche und Ideen ausloten und ihre Essenz so umsetzen, dass ein Projekt auch machbar und finanziell tragbar wird.»

«Als Architekt muss ich versuchen zu verstehen, was jemand eigentlich meint und dies in seinem Kontext und seine Möglichkeiten übersetzen. Man muss die Wünsche und Ideen ausloten und ihre Essenz so umsetzen, dass ein Projekt auch machbar und finanziell tragbar wird.»

Gerade dies ist allerdings auch das Spannende, das Herausfordernde: Sein Können in den Dienst der Machbarkeit und der Möglichkeiten zu stellen, Widerstände aushalten, Wege suchen und finden. Ernsthaft und sorgfältig. «Die Räume sind mir wichtig. Auf das Räumliche kommt es mir primär an, dann folgt die Detaillierung. Man muss mit gegebenen Strukturen arbeiten können, damit ein Raumgefühl bestehen bleibt oder neu entsteht. Man kann gegebene Strukturen verändern und erweitern. Wenn ich in einem alten Bau alle Wände herausreisse, wirkt ein Raum noch nicht zwingend grösser. Dafür braucht es andere Lösungen.» Und andere Fragen: Was soll neu werden? Was kann und soll bleiben? Welches ist die richtige Mischung? Nicola Losinger: «Laien haben beim Umbauen oft Angst vor hohen Kosten. Als Architekt muss man das im Griff haben. Mein Ansatz ist: Was kann ich mit einem verfügbaren Betrag tun, das klug ist und stimmig und die eigentlichen Wünsche einer Bauherrschaft in eine heutige Realität übersetzt? Mir ist wichtig, genau das zu machen, was es wirklich braucht. Das, was dem Kontext entspricht. Ich bin der Überzeugung, dass man fast immer auch mit einfacheren oder sogar einfachsten Mitteln etwas herausholen kann. Man kann auch absurd viel investieren, ohne ein besseres Resultat zu bekommen. Die interessante Frage ist also immer: Was stimmt?»
Nicola Losinger an der Arbeit

III

An der Arbeit. Stadtamman-
und Betreibungsamt Kreis 3, Wiedikon.

Nicola Losinger hätte als junger Mann beinahe Archäologie studiert und wurde dann doch Architekt. Die Denkmalpflege, der Umgang mit historischer Bausubstanz und sorgfältige Umbauten entsprechen ihm. Er übernimmt für seine Projekte auch die Bauleitung und kann mit Baukosten und komplizierter Bauherrschaft ebenso umgehen wie mit kniffligen oder komplexen Aufgabenstellungen. «Ich habe für mich eine Nische gefunden, die mich glücklich macht: der Umgang mit historischen Häusern. Hier kann ich mich als klassischer Architekt einbringen.»

Als Beispiel drängt sich das Stadtamman- und Betriebungsamt Kreis 3 in Wiedikon auf. Das Amt ist im dritten Stockwerk eines Bürohauses untergebracht, exponiert zwischen Sihlfeld-, Kalkbreite- und Zentralstrasse. Der Bau ist ein Zeitzeuge des Baustils der fünfziger Jahre und ist im kommunalen Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte aufgeführt. «Die Stadt Zürich hat ihre qualitativ guten Häuser vorbildlich inventarisiert, bis in die achtziger Jahre hinein.» Die beiden Herausforderungen des Architekten hiessen: mit den verfügbaren Mitteln umgehen und der Funktion der Räume ebenso gerecht werden, wie dem Publikum. Das heisst: das Betreibungsamt als Ort der Beziehung zwischen Amt und Publikum gestalten und den Sicherheits- und Diskretionsanforderungen genügen, ohne abweisende oder einschüchternde Räume zu schaffen. «Das Hauptanliegen, etwas Freundliches für einen Ort zu schaffen, der mit unerfreulichen Themen wie Betreibung verbunden ist – das hat mich sehr gereizt.»

«Ich habe für mich eine Nische gefunden, die mich glücklich macht: der Umgang mit historischen Häusern. Hier kann ich als klassischer Architekt noch arbeiten und mich einbringen.»

Vor Ort zeigt Nicola Losinger, worum es ihm geht und wie unterschiedliche Überlegungen und Anforderungen miteinander in Übereinstimmung gebracht werden mussten: «Obwohl die Sicherheit der Mitarbeitenden hohe Priorität hat, sollte die Ausstrahlung der Räume weder Gefängnis-Charakter haben, noch klaustrophobische Gefühle auslösen.» Die Ansprüche an Sicherheit und gleichzeitig an Offenheit, an Diskretion und Kontrolle, mussten erfüllt werden. Dass Nicola Losinger die vormals verschachtelten Büroräume gänzlich leeren konnte, war ein Glücksfall. So konnte er Einbauten vornehmen, die räumlich funktionieren und das auch mit einfachen Mitteln. Eintretende werden auf kürzest möglichem Weg zum transparenten Empfang geführt. Extra-tiefe Schalterdimensionen stellen diskret genügend Abstand her und schützen die Mitarbeitenden vor tätlichen Übergriffen. Besucherinnen und Besucher werden ihrerseits durch raffiniert platzierte Nischen vor den Besprechungszimmern und das grosse – als Lounge konzipierte – Foyer vor unnötiger Exposition geschützt. Der Boden ist aussergewöhnlich hell und elegant, die Wartebänke sind denjenigen einer klassischen Tramhaltestelle nachempfunden. Die Beleuchtung ist überall indirekt, kleinere und grössere Neonröhren sind in Nischen versenkt.

Bei Bauten wie dem Stadtammann- und Betreibungsamt Kreis 3 braucht es nicht nur Sachverstand und Hartnäckigkeit, sondern auch den Mut, sich bei der Suche nach einer Lösung auf eine Intuition einzulassen und ihr zu folgen. Dann wird der Architekt auch zum Bergführer: Er kennt sein Gelände, geht trittsicher voraus und übernimmt die Verantwortung für seine Seilschaft. Das Bauen muss gut geplant und vorbereitet sein. Man kann zwar nicht alles vorwegnehmen, aber wissen: «Was auch immer passiert, ich finde einen Weg.»